Was ist Safe and Sound Protocol?
Das Safe and Sound Protocol (SSP) ist eine Hörtherapie, die von Dr. Stephen Porges, dem Psychiater und Neurowissenschaftler, der die Polyvagal Theorie formuliert hat, entwickelt wurde.
Es besteht aus einer 5-stündigen Playlist mit speziell gefilterter Musik. Alles, was benötigt wird, sind Kopfhörer ohne Geräuschunterdrückung (ohne noise cancelling) , die die Ohren vollständig bedecken, und die Möglichkeit die App herunterzuladen. Das Hören der insgesamt 5 Stunden langen Playlist kann sich über Tage oder Wochen erstrecken. Das entscheiden wir gemeinsam und hängt davon ab wie Dein Nervensystem auf die gefilterte Musik reagiert.
SSP kann bei folgenden Symptomen helfen
- Geräuschempfindlichkeiten
- auditative Verarbeitungsstörung
- Hochsensibilität
- flacher Affekt
- Schwierigkeiten mit der Regulierung (Hypervigilanz, Übererregbarkeit, Ängstlichkeit, emotional Abgestumpftsein oder emotional geladen)
- Ablenkbarkeit/ Konzentrationsprobleme
- PTBS, C-PTBS, Angststörungen und Depressionen
Die Anfänge von SSP
Ursprünglich hat Dr. Porges das Safe and Sound Protocol bei der Arbeit mit Kindern mit Autismus angewendet, wo sich die Hörtherapie bei der emotionalen Regulierung als wirksam erwiesen hat.
In diesen Anfangszeiten schrieb das Protokoll 5 tägliche Hörsitzungen von 60 Minuten vor. Mit der vermehrten Anwendung des Protokolls bei Erwachsenen mit akuten und komplexen Traumasymptomen, stellte sich heraus, dass weniger letztendlich mehr ist. Das heisst, dass das Hören über einen längeren Zeitraum mit jeweils kürzeren Sitzungen gestaffelt werden kann, damit die Veränderungen im Nervensystem vollständig integriert werden können.
Polyvagal Theorie
Die Polyvagal Theorie kann man als die Wissenschaft des Sicherheitsgefühls bezeichnen. Die Theorie beschreibt das, was im Koerper und Nervensystem passiert wenn wir uns in Sicherheit oder in Gefahr wägen und erklärt, wie unser Gefuehl von Sicherheit, Gefahr oder Lebensbedrohung unser Verhalten beeinflussen kann. Die Polyvagal Theorie ist eines der wissenschaftlichen Konstrukte, die in körperzentrierten oder „Bottom-Up“ Therapien (wie Somatic Experiencing oder SSP) angewendet werden, um Stress- und Traumasymptome zu lindern und eine hoehere Belastbarkeit (Resilienz) zu fördern.
Es hat Schnittpunkte mit Bindungstheorien und der Forschung im Bereich Selbst- und Co-Regulierung, sowie neurobiologischen Stressmodellen.
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Warum Musik?
Dr. Porges befasste sich mit der Verbindung von den Mittelohrmuskeln und den jeweiligen Zustand des Nervensystems (nervous system state) was die jeweilige Physiologie ist die wir im jeweiligen Moment brauche um zu funktioneren. Diese Nervensystemzustände ändern sich ständig, sind adaptiv und unterstützen das Verhalten das im jeweiligen Moment gebraucht wird. Manchmal müssen wir uns schützen und verteitigen und manchmal wollen wir uns ausruhen oder sozial sein. Wenn wir uns in einem Kampf- oder Fluchtzustand befinden, ist unsere Physiologie anders als wenn wir in einem Erstarrungszustand sind. Und wenn wir uns sicher und wohl fühlen, offen für unsere Umgebung und andere Menschen sind, befinden wir uns einem Zustand wo das sogenannte soziale Nervensystem (social engagement system) angeknipst ist.
Wir wollen dass alle dieser Zustände für uns verfügbar sind, dass wir uns in unserem Alltag und dem Abenteuern des Lebens sicher fühlen können und sicher sein können. Zumindest soweit es geht. Es ist alles relativ.
Wir wollen demnach in der Lage sein, effektiv auf Bedrohungen zu reagieren (mit Kampf, Flucht oder wenn notwendig auch mit Starre) aber auch angemessen auf Signale der Sicherheit zu reagieren,indem wir uns voll und ganz auf unsere Umwelt und die Menschen darin einlassen können.
Wenn die Muskeln im Innenohr nicht richtig kontraktieren, können wir nicht alle Geräusche richtig aufnehmen und interpretieren. Unsere Ohren und unser Gehirn können dann Signale der Sicherheit (höhere Frequenzen) nicht von Signalen der Gefahr (niedrigere Frequenzen) unterscheiden.
Stephen Porges vergleicht die Kontraktion der Innenohrmuskeln mit der Haut einer Trommel. Wenn das Fell der Trommel locker ist, hören wir tieferen Töne als wenn das Fell gespannt ist. Innenohrmuskeln, die optimal funktioneren, können Töne mit höheren Frequenzen verstärken und die Kraft niedrigerer Frequenzen reduzieren. Diese Fähigkeit ist für die Verarbeitung menschlicher Sprache, die sich im Spektrum der hochfrequenten Töne befindet, entscheidend.
Wie SSP funktioniert
Die Musik aktiviert und stimuliert die ventrale Seite des Vagusnerves wo das soziale Nervensystem wohnt. Damit werden mit der Musik Signale der Sicherheit gesendet, was dem Körper hilft, sich langsam aus chronischen Abwehrzuständen von Übererregbarkeit und Hypervigilanz (hier geht es wieder um „fight“ / „flight“ Zustände) und / oder einer gewissen Abgestumpftheit („freeze“) dahin bewegen wo sich das soziale Nervensystem entfalten kann.
Indem das Nervensystem sozusagen breiter gefächert wird, entstehen ganz neue Möglichkeiten des Seins, abseits von den immer gleichen Traumareaktionsmustern.
Wenn wir mehr und mehr in dem Bereich des sozialen Nervensystem befinden, unser ventraler Vagus online ist, können wir uns selbst mehr spüren, mit dem Menschen um uns herum in Berührung kommen und eine insgesamt höhere Belastbarkeit (Resilienz) erleben.
Ein paar Gedanken zum Schluss
Ich sehe SSP als Ergänzung zur Traumatherapie, nicht als eigenständige Intervention und definitv nicht als Wunderbehandlung. Es hat meinen Klienten mit Geräuschempfindlichkeiten geholfen, sich durch bestimmte Geräusche weniger gestört zu fühlen. Es hat anderen geholfen, mit mehr Kapazität sich dem zu stellen, was vorher sehr herausfordernd gewesen wäre. Es hat geholfen, den therapeutischen Prozess auf neue Weise voranzubringen, sowie chronische Schmerzen zu lindern. Es hat anderen meiner Klienten dazu gebracht, mehr Interesse daran zu haben, Kontakt zu anderen aufzunehmen und sich Menschen in einer neuen Weise zu nähern, ohne dass es überwältigend wurde.
Bei Interesse und/ oder weiteren Fragen, schreib mir einfach eine E-Mail oder nimm Kontakt zu mir auf.